Albertplatz Dresden am 13.02.2010

Wenn ich heute hier meinen Eintrag vornehme, dann mit einem längst verlorengeglaubten Gefühl des Glücks!

Es erwies sich als äußerst schwierig für mich als unorganisierte Einzelperson, eine Mitfahrgelegenheit nach Dresden in einem der zahlreichen Busse zu ergattern. Am Mittwoch, wie sich herausstellte, viel zu spät, fand ich auf der Internetsite „Dresden-nazifrei.com“ verschiedene Busse auch aus Baden-Württemberg, die nach Dresden fahren sollten. Meine Anfragen wurden allesamt negativ beantwortet: die Busse sind voll, es gibt keinen einzigen Platz mehr. Diese Aussage erhielt ich von Verdi München, Verdi Stuttgart, von der Linksjugend Esslingen-Nürtingen, von solid Tübingen, Jugendbündnis Ulm und von Antifa Stuttgart und Ulm.

Was tun? Ich gab Donnerstag noch einmal bei Google Suchbegriffe ein „Gegendemo – Bus – Dresden“… und kam auf 2 private Homepages von engagierten Jugendlichen. Noch am Donnerstag abend klingelte das Telefon: „Du kannst bei uns mitfahren.“ Ich freute mich, spürte aber irgendwie, daß er am anderen Ende der Leitung breit grinste. Mein Gefühl trügte mich nicht. Als ich fragte, von wo sie seien: Duisburg. Klar, da mußte ich auch lachen! Das war am anderen Ende Deutschlands. Am Freitagmittag klingelte wieder das Telefon. Benedikt M., Mitglied des Kreisvorstandes „Bündnis90/Die Grünen“ vom Alb-Donaukreis, den ich auch angeschrieben hatte, meldete sich: er habe für mich einen Platz in einem Bus von Konstanz nach Dresden. Bei den „Jungen Grünen“ aus Backnang sei eine Person ausgefallen – wir würden in Stuttgart in den Bus zusteigen. Benedikt gab mir eine Kontakt-Telefonnummer, die ich sofort anrief. Es meldete sich ein Gerrit. Wir verabredeten uns für 00:00 Uhr am Stuttgarter Bahnhof. Gerrit sagte mir, daß wir nicht in Stuttgart in den Bus zusteigen, sondern in Ludwigsburg.

Mit Benedikt verabredetete ich mich für die Zugfahrt nach Stuttgart; er besorgte für uns beide die Tickets. Edwin brachte mich 20:00 Uhr zum Bahnhof Schelklingen. Ich zog mir warme Kleidung an und setzte meine leuchtend grüne Mütze auf. Es sollte eine abenteuerliche Fahrt werden.

In Stuttgart vertrieben wir uns zunächst etwas Zeit, bis sich Benedikt gegen 23:30 Uhr verabschiedete. Er fuhr mit einem anderen Bus. Die Zeit bis 00:00 Uhr verging sehr schnell. Dann traf ich 7 junge Grüne aus Backnang. Sie nahmen mich spontan in „ihre Familie“ auf, mein Alter spielte bei den 17- bis 19-Jährigen keine Rolle. Für die nächsten 28 Stunden war ich Eine von ihnen.

Wir sollten 01:30 Uhr in Ludwigsburg sein, schlenderten ein wenig durch Stuttgart und waren gerade auf dem Weg zur S-Bahn, als Gerrits Handy klingelte – Der Bus käme nicht nach Ludwigsburg. Wir sollten in 20 Minuten an der Autobahn-Abfahrt Gertingen auf einen Rastplatz kommen und dort zusteigen. Da blieb uns nichts weiter übrig, als mit 2 Taxen dorthin zu fahren. Gegen 01:30 oder 02:00 Uhr saßen wir endlich im Bus. Wir fanden ein wenig Schlaf. In Dresden kamen wir ohne jegliche Zwischenfälle gegen 09:00 Uhr an. Wir wunderten uns, daß wir ungehindert ins Zentrum Dresden-Neustadt fahren konnten, sahen überall Unmengen Polizei Stellung beziehen. Später erfuhren wir, daß wir zeitig genug angekommen waren. Busse, die nach uns aus Berlin und Norddeutschland anreisten, wurden von der Polizei eine zeitlang blockiert. Wir 8 Personen blieben in Dresden immer zusammen. Wir machten uns auf den Weg Richtung Neustädter Bahnhof. Alle Wege waren von Polizei versperrt, die sich aber ruhig verhielt und nicht provozierte. Dicht an dicht blieben sie stehen, es gab kein Durchkommen. Massenweise standen Poizeibusse auf den Straßen, wir sahen auch viele Wasserwerfer bereitstehen. Später zählten wir bis zu 7 Hubschraubern, die uns aus der Luft beobachteten.

Überall liefen Angehörige des schwarzen Blocks der Antifaschisten herum. An einer großen Straßenbahnkreuzung versammelten sich Mitglieder und Sympathisanten der MLPD, auch vorwiegend schwarz gekleidet; viele von íhnen hatten Fahnen dabei. Durch ein Megaphon rief einer von ihnen vis á vis den Polizisten zu: „Wir warten hier sozialistisch auf die Straßenbahn! Das ist unser gutes Recht. Wir gehen hier nicht weg!“ Ich hatte nichts anderes als solche Sprüche von der MLPD erwartet, mußte etwas schmunzeln.

Irgendwie gelangten wir ca. 10:00 Uhr auf Umwegen auf einen Platz, den Albertplatz. Dort hatten sich schon ein paar tausend Menschen eingefunden. Unsere Gegendemo war doch nicht genehmigt worden, war also „illegal“. Ein paar Kampfesreden von den Organisatoren, immer wieder Sprechchöre von uns allen und immer wieder die Bitte an alle: ruhig und friedlich hier auf dem Platz zusammenzubleiben; nicht zu provozieren oder sich provozieren zu lassen. Daran hielten sich für den Rest des Tages ca. 5.000 dort versammelte Menschen, später waren es 10.000. Es wurde viel geredet, noch mehr Musik gespielt, u.a. von Konstantin Wecker, zu der wir in der Eiseskälte tanzten und uns warm hielten. Immer wieder wurden wir über das Neueste informiert. So erfuhren wir, daß andernorts Dresdens und Dresden-Neustadts an verschiedenen Stellen auch je mehrere tausend Antifaschisten Straßen und Plätze blockierten. Sehr beeindruckt hat mich das Auftreten des Jenaer Bürgemeisters mit klarer Position und damit mit viel Zivilcourage! Als gegen Mittag die ersten Neonazis anreisten, kam es zu vereinzelten Zwischenfällen: So waren Neonazis aus einem Bus rausgesprungen, um Antifaschisten anzugreifen, die aber fliehen konnten. An einem anderen Platz wurden ein paar hundert Blockierer von der Polizei aufgelöst und vertrieben; sie kamen später zu uns auf den Albertplatz. Ansonsten war alles friedlich, aber keineswegs ungefährlich.

Bald waren wir von der Polizei ringsherum eingeschlossen. Sie marschierten von verschiedenen Seiten zum Albertplatz und bildeten einen Kreis um uns. Wir befürchteten, daß sie uns angreifen würden. Über dem Platz flogen verstärkt Hubschrauber ihre Runden. Unbeirrt tönte die Musik aus den Lautsprechern, zu der wir weiterhin lachten, mitsangen und tanzten. Es war inzwischen 14 oder 15:00 Uhr. Immer wieder erfuhren wir, daß die Nazis nicht marschieren könnten, weil die Polizei deren Sicherheit nicht gewähleisten könne. Ohrenbetäubender Jubel von uns!

Ein paar Leuten von „Bündnis 90/Die Grünen“ gingen in die obere Etage eines leerstehenden Hauses und entrollten ein Plakat „Gegen Nazis“.

Irgendwann kippte offensichtlich die Stimmung bei den Polizisten. Der Ring um uns wurde aufgelockert, ein paar von Ihnen bewegte sich mit uns rhytmisch zu den Klängen aus den Lautsprechern. – Wer hätte das gedacht!

Die Demo war den Nazis bis 17:00 Uhr genehmigt. Als 17:00 Uhr durch die Lautsprecher informiert wurde, daß die Nazis endgültig nicht marschieren könnten und bereits von der Polizei auf den Bahnhof und in Züge gedrängt wurden lagen wir uns vor Freude in den Armen! Eine Frau hinter mir fing vor Freude zu weinen an – ich nahm sie in den Arm. Sie sagte: „Ich hätte das alles nicht für möglich gehalten!“. Eine andere Frau, die den ganzen Tag hinter uns stand, mit ihrem Mann tanzte, kam zu mir, legte mir beide Hände auf die Schultern und sagte: „Danke, daß Sie hier waren!“- wir umarmten uns, nun hatte auch ich feuchte Augen. Alle auf dem Platz warteten noch, bis alle antifaschistischen Gegendemonstranten von den anderen Plätzen und Straßen zu uns stießen. Wir begrüßten sie lautstark, der letzte Trupp von ca. 4.000 Menschen gelangte unter strenger Polizeibegleitung zu uns, ein Glücksgefühl überströmte den Albertplatz! Die Polizisten rückten in Dreier-Reihen durch die Massen ab, u.a. direkt an uns vorbei. Ich schaute sie an, suchte deren Gesichter. Auf einmal zwinkerte mir ein sympathisches Gesicht hinter dem kugelsicheren Helm-Plexiglas freundlich zu – Nein ! – nicht alle Polizisten sind gegen uns, gegen die Linken, auch unter ihnen gibt es Nazigegner.

Gegen 19:00 Uhr liefen wir auf der anderen Seite der Elbe zu unserem Bus. Überall Polizei, Polizei, Polizei… Spontan ging ich immer wieder zu ihnen und bedankte mich, daß sie so ruhig geblieben waren und damit dazu beigetragen hatten, daß der Tag vorwiegend so friedlich ablief. Ca. 20:00 Uhr saßen wir alle im Bus und traten die Heimreise an. Wir erfuhren, daß der Busfahrer nicht bereit war, uns irgendwo in Stuttgart oder Nähe der Stadt an einer S- oder U-Bahn abzusetzen. Dieses Mal stiegen wir an der Raststätte Sindelfingen aus. Corinnas Freund nahm 4 von uns mit. Alle bestanden daruf, daß ich zum Bahnhof mitfuhr, der Rest von ihnen bestellte wieder ein Taxi. So kam ich sicher 03:40 Uhr am Stuttgarter Hauptbahnhof an, der zu dieser Zeit geschlossen war. Durch einen Nebeneingang wurden nur Reisende mit Fahrschein reingelassen. Einer der Jugendlichen, (bitte entschuldigt, ich weiß Eure Namen gar nicht alle bzw. konnte sie mir nicht merken) half mir, am Automaten ein Ticket nach Schelklingen zu lösen und verabschiedete sich dann. Mein Zug fuhr 04:35 Uhr nach Ulm ab. Dort stieg ich in den Regionalexpress. Sonntag früh, 06:23 Uhr, holte mich Edwin vom Bahnhof ab. Ich war totmüde, aber überglücklich!

Ich hatte an diesem Tag junge Menschen kennengelernt, die ihr Herz auf der richtigen Seite trugen, mit beiden Beinen im Leben standen, frei von jeglichen Vorurteilen und voller Ideale alles zu tun bereit sind ihren ganz persönlichen Beitrag für eine bessere, sozialistische Welt zu leisten. Sie gaben mir das Gefühl, zu ihnen zu gehören, obwohl ich mit meinen 56 Jahren so gar nicht in ihre Runde paßte; sie achteten von der ersten bis zur letzten Minute auf meine Sicherheít, umarmten mich zum Abschied mit den Worten: „Petra, Du mußt uns mal besuchen kommen!“. Sie versprachen, mir per e-Mail Fotos vom Tag in Dresden zu senden, damit ich diese dem Beitrag hier im Blog einfügen könne. Und ich gab ihnen die Adresse zu meinem Weblog hier.

Ich bin immernoch übermüdet aber so glücklich, wie viele Jahre schon nicht mehr. Bis jetzt liegt auf meinem Gesicht ein längst vergessenes Lächeln.

Die Nazis konnten in Dresden nicht aufmarschieren – über 10.000 Menschen haben das verhindert – UND ICH WAR DABEI!

Datum: Montag, 15. Februar 2010 13:22
Themengebiet: Aktuelle Politik Trackback: Trackback-URL
Feed zum Beitrag: RSS 2.0 Diesen Artikel kommentieren

Ein Kommentar

  1. 1

    Liebe Petra,

    ich danke Dir für diesen wunderschön geschriebenen Erlebnisbericht – ich habe ihn förmlich verschlungen!

    solidarische, antifaschistische Grüße
    Kevin

Kommentar abgeben