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Das Ende vom Robotron Anlagenbau Leipzig

Mittwoch, 10. Februar 2010 14:03

1990 kehrte ich zurück zum Robotron-Anlagenbau Leipzig, nicht in den Schulungsbereich, sondern in den Vertrieb in Halle. Das Schulungszentrum wurde stark abgebaut, erhielt ein vollkommen neues Profil und sollte künftig Umschulungen anbieten. Ich war dankbar, daß man mich überhaupt wieder einstellte.

Zu diesem Zeitpunkt gehörten dem Robotron-Anlagenbau noch 1.600 Mitarbeiter an. Es begann eine Zeit, wo sich die verschiedensten Geschäftsführer, allesamt konzeptionslos, aus den alten Bundesländern stammend, gegenseitig die Klinke in die Hand gaben. Einer der Geschäftsführer, knapp über 20 Jahre, Sohn reicher Eltern, mit den Hobbies: Autos sammeln und Pferde. Natürlich hatte er einen Trabi erworben. Aber in Richtung  Menschenführung oder Führung eines Unternehmens hatte er noch nie etwas getan.

Für uns Mitarbeiter ergab sich ein Rätselraten, was werden würde. Der Vertieb sollte außer PC’s auch Bürobedarf und Büromöbel anbieten. Es gab keinen Gebietsaufteilung, keine Zuständigkeitsbereiche, kein richtiges Konzept. Mal hieß es „Hü“, mal „Hot“. Ich entschied für mich selbst, was richtig sei und was nicht. Ich lief von Betrieb zu Betrieb, von Behörde zu Behörde und lief in den meisten Fällen gegen Wände. In den entscheidenden Positionen saßen altbundesdeutsche „Entscheidungträger“, die uns hochnäsig abblitzen ließen und uns manchmal als „Hausierer“ bezeichneten. Sie kauften alles, ausnahmslos alles im Westen Deutschlands ein. Sie waren ihren „Partnern“ verpflichtet. Nicht die Wirtschaft im Osten sollte angekurbelt werden, sondern die damals drohende Wirtschaftskrise des Westens mußte vereitelt werden. – Wie wir heute wissen, eine zeitlang durchaus erfolgreich.

Mir gelang es, mit dem Finanzministerium Sachsen-Anhalts in Magdeburg einen Rahmenvertrag für Robotron abzuschließen. Kein Vorgesetzter hatte mich in meinen Bemühungen unterstützt – im Gegenteil – man belächelte mich. Also hatte ich selbst an den Abenden nach meiner Arbeitszeit Preislisten und Rabatte erarbeitet, geschrieben und ausgedruckt. Alles mußte 120-mal im Ministerium abgegeben werden. Als dieser Vetrag unterzeichnet war, gingen meine Chefs damit hausieren!

Ich hatte damals bei den Mitarbeitern in Halle einen äußerst schweren Stand, weil ich in der Partei (SED) war, auch noch dazu stand, keinen Millimeter von meiner Überzeugung abzurücken bereit war und 3 Jahre im Parteiapparat (der SED) gearbeitet hatte, davon 1/2 Jahr hauptamtlich als stellvetretende Parteisekretärin des Robtron-Anlagenbaus Leipzig. Man verhöhnte mich, sprach  nur das Nötigste mit mir und brachte mir deutliche Verachtung entgegen. Riefen Kunden an, die ich aufgesucht hatte, um in seltenen Fällen etwas zu bestellen, wurde der Umsatz derjenigen gutgeschrieben, die das Telefonat entgegengenommen hatte. Ich biß die Zähne zusammen, auch wenn es oft schwerfiel.

Auch im Finanzministerium saßen nur Leute aus der zweiten Reihe der Behörden altbundesdeutscher Länder, die in dieser Zeit steile Karriere machten. Ich erfuhr von dem zuständigen Mitarbeiter des Finanzministeriums, der irgendwie von meinem Engagement beeindruckt war, daß man bereits 1990 in Insiderdokumenten den Robotron-Anlagenbau Leipzig als insolvent führte, was überhaupt nicht den Tatsachen entsprach! Auf diese Art vereitelte man größere Geschäftsabschlüsse und das Überleben nicht nur Robotrons.

Im Sommer 1993 wurde es sehr kritisch. Wir besetzten den Robotron-Anlagenbau in der Gerberstraße in Leipzig, wollten Schlimmeres verhindern. Ich saß mit anderen Mitarbeitern Leipzigs zusammen in einem Raum; wir berieten, wie wir vorgehen sollten.

Die Leipziger Kollegen, die mich allesamt von früher kannten, als ich noch Lehrgänge für Instandhaltungstechniker von ESER-II-Anlagen hielt (Assemblerprogrammierung und Betriebssystem OS/ES) achteten mich nach wie vor; zu ihnen hatte ich ein ausgesprochen gutes Verhältnis. Ich war Eine von ihnen geblieben!

Auf einmal öffnete sich die Tür – herein kamen 2 „Herren“ – der eine war unser neuer Geschäftsführer, Herr Wiedmann, der andere, Herr Krohn (oder Groll?), stellte sich als Insolvenzverwalter vor. Dieser war ein recht beleibter Typ, breit grinsend, beide Hände tief in den Hosentaschen vergraben, stellte er sich kurz vor und begrüßte uns mit den Worten: „Vergessen Sie, was Sie bisher gelernt und getan haben – Es ist nichts wert! Wir können Sie zu nichts gebrauchen!“ Damit hatte er sofort all unsere Sympathien auf seiner Seite. Er sagte das zu hochqualifizierten Mitarbeitern, die bis dato für internationale EDV-Fachkräfte Lehrgänge gehalten hatten! Dieser Satz, in dieser Überheblichkeit, Menschenverachtung, brannte sich tief in mir ein.

Herr Wiedmann sagte kaum etwas, er wirkte unsicher, sollte zwar Geschäftsführer über nunmehr 1.400 Mitarbeiter werden, hatte aber von Tuten und Blasen keine Ahnung, schwamm im Fahrwasser des Herrn Krohn mit. Bis dahin hatte Herr Wiedmann als Vertriebler für eine amerikanische Softwarefirma gearbeitet. Er war geeignet, dem Robotron-Anlagenbau den Todesstoß zu verpassen, was er denn auch gründlichst tat!

Es wurde gemunkelt, daß Siemens Interesse an unsem Betrieb hatte und eine indische Softwarefirma, für die wir zu DDR-Zeiten Lehrgänge hielten, aber es war nicht beabsichtigt, unsere Arbeitsplätze zu erhalten.

Ein paar Tage später fand eine Mitarbeiterversammlung statt. Dieser dreiste Krohn verkündete, daß Robotron pleite sei. Ehemalige DDR-Mitarbeiter der Betriebsleitung und der Betriebsrat meldeten sich zu Wort und widerlegten diese Aussage: Der Robotron-Anlagenbau verfüge zu diesem Zeitpunkt über ein Vermögen, das ausreiche alle 1.400 Mitarbeiter 3 Jahre lang zu bezahlen ohne eine Mark Gewinn machen zu müssen. Zudem gehören alle Immobilien Robotron selbst. Und was erhielten wir zur Antwort?! – Ihnen gehört gar nichts mehr! Ihr ganzes Vermögen nebst Immobilien gehört jetzt der Treuhand. Für die Immobilien haben Sie fortan Miete zu zahlen. Wenn sie überleben wollen, müssen Sie erst einmal Gewinn erwirtschaften. So einfach war das.

Wir Mitarbeiter mußten alle einen neuen Arbeitsvertrag unterschreiben, der alte wurde für ungültig erklärt. Wir erhielten eine Abfindung, die bei mir für 15-jährige Bertiebszugehörigkeit, um die 1.300 Mark betrug. Als erstes kaufte ich mir von dem Geld eine Schlagbohrmaschine, einen neuen Kühlschrank und fuhr mit meiner Tochter für 2 Wochen nach Tunesien (mein Sohn wollte nicht mitreisen). Mit den neuen Arbeitsverträgen wollte man vermeiden bei späteren Éntlassungen, dann nämlich nach bundesdeutschem Betriebsverfassungsgesetz,  horrente Abfindungen zahlen zu müssen. Es wurde an alles gedacht!

Dieser Herr Wiedmann begleitete mich eines Tages in das Finanzministerium nach Magdeburg. Er hatte von meiner Rahmenvereinbarung gehört und wollte seine amerikanische Software zur Verwaltung von Computeranlagen dort präsentieren. Auf dem Rückweg erzählte er mir, er habe eine Hymne für Robotron schreiben lassen – american life… Ich lächelte und fragte, ob man das Geld nicht hätte nutzbringender ausgeben können. Und doch war ich beeindruckt, wie sehr er sich mit „meinen“ Betrieb identifizierte. Kurz bevor wir uns verabschiedeten (ich brachte ihn zurück nach Leipzig), sagte er auf einmal zu mir: „Frau Rocke, Sie sind gut! Ich will Sie in meiner Niederlassung in Wendlingen haben.“  und bestellte mich für den nächsten Tag zu sich ins Büro. So erfuhr ich von einer Robortron-Außenstelle in Wendlingen! Ich entgegnete ihm, daß er mich gar nicht kennen würde und real einschätzen könne. Wir hätten doch lediglich gemeinsam das Finanzministerium besucht – und daß ich wegen einer gemeinsamen Fahrt keinerlei Vorteile für mich beanspruchen wolle. Er redete mit Engelszungen auf mich ein. Ich gab zu bedenken, daß ich alleinerziehende Mutter von 2 Jugendlichen war (Sohn: 17 Jahre, Tochter 14 Jahre), daß ich zwar meine Mutter um Unterstützung bitten könne, aber es ausprobieren müsse, wenn es nicht gutginge, daß ich jederzeit zurück nach Leipzig oder Halle könne. Er ging alle Kompromisse ein und stellte mir ein sofortiges Gehalt von, anstatt bisher 1.400 Mark, künftig 4.200 Mark in Aussicht.

So fuhr ich fortan montags früh 550 km mit dem Betriebsauto, einem weißen Peugeot 205 nach Wendlingen und freitags mittags zurück. In Wendlingen, eine Etage unter dem Büro von Robotron, unterhielt der Herr Wiedamnn eine Software-Firma mit 5 oder 6 Angestellten. Bald fand ich heraus (auch aus den Erzählungen der Angestellten, mit denen ich mich schnell befreundete und von denen einer seit 1996 mein Ehemann ist), daß Herr Wiedmann und Herr Krohn diese Firma, ISICAD, gekauft hatten. Um diese Firma kaufen zu können brauchten sie Geld – aus diesem Grund bewarben sie sich erfolgreich um die Übenahme des Robotron-Anlagenbau Leipzig, zweigten Treuhand-Geld für den Kauf dieser Firma ab und belasteten fortan eine eigentlich schwarze Zahlen schreibende Abeilung Robotrons mit den Gehältern dieser hochbezahlten Mitarbeiter (alle hatten EDV-Uniabschluß und waren Softwareentwickler). Ich hatte einen Gehaltszettel gesehen und somit erfahren, woher diese Leute ihr Geld erhielten, die offiziell gar nicht bei Robotron angestellt waren. Zusätzlich finanzierten sie über Robotron-Gelder teure Geschäftsreisen für ISICAD nach Amerika. Dadurch geriet diese gewinnbringende Robotron-Abteilung monatlich in die roten Zahlen, was die Mitarbeiter dieser Abteilung gar nicht verstanden. Diese wurden sattdessen unter Druck gesetzt, sie würden nicht gut genug arbeiten.

Das ganze währte gerade 2 Monate (Oktober/November 1993). Eine Betriebsversammlung wurde in Leipzig anberaumt – Die Geschäftsführer wußten nicht mehr, wie sie ihre Mitarbeiter in Leipzig und Halle bezahlen sollten, und das kurz vor Weihnachten! Ich stand auf und erzählte der Belegschaft ganz konkret, wie nicht nur Treuhandgelder, sondern auch unser schwer erarbeiteter Gewinn für eine andere Firma, ISICAD, verschleudert wurde. Herr Wiedmann wurde unruhig auf seinem Stuhl. Immer wieder forderte er die Presse (die gar nicht anwesend war) auf, diesen Raum unverzüglich zu verlassen. Ich rief die Belegschaft zum Arbeitskampf auf. Ich bettelte geradezu, jetzt und sofort für den Erhalt unserer Abrbeitsplätze zu kämpfen, auf die Straße zu gehen, solange wir noch über 1.000 Mitarbeiter und damit eine Kraft seien. Wenn erst die meisten entlassen wären, lohne der Kampf eines kleinen Grüppchens nicht mehr. Nur wenige gaben mir recht, die meisten schauten mich in Anwesenheit der Geschöäftsführung mit großen Augen schweigend an. Sie wollten nichts riskieren und meinten, wenn sie schön still seien, würden sie von Entlassung verschont bleiben. Welch Irrtum!

Nach dieser Bertiebsversammlung mußte ich natürlich zu Herrn Wiedmann antanzen. Die Außenstelle von Robotron in Wendlingen wurde geschlossen. Er sagte zu mir: „Jetzt, wo Sie ihren Geschäftsführer kennen, sind Sie jetzt noch bereit für ihn zu arbeiten?“ sein Stellvertreter, ein alter Robotronler, Peter, der sich gut anpassen konnte, zu dem ich aber  die früheren Jahre zu DDR-Zeiten ein gutes Verhältnis hatte, gab mir zu verstehen, daß Herr Wiedmann mich aufgrund seiner Bloßstellung entlassen wolle. Herr Wiedamnn wollte mir mein Gehalt wieder auf 1.400 Mark kürzen, was er jedoch rechtlich nicht konnte. Ich schaute Herrn Wiedmann geradewegs an und erwiderte, daß ich sehr wohl gedenke, meine Arbeit für mein Robotron fortzusetzen und daß ich mir dabei meinen Geschäftsführer nicht aussuchen könne. Später erfuhr ich, daß er gegenüber den ISICAD-Mitarbeitern seinen Unmut über meine Dreistigkeit kundgab, ich hätte ihn arg in Bedrängnis gebracht, und wissen wollte, von wem ich die Informationen hätte.

Ein halbes Jahr später, ringsherum wurden immer mehr Kollegen entlassen, der Betriebsteil Halle existierte kaum noch, ich saß in einem Büro in Leipzig, fand ich eine Arbeit als Organisationsleiterin am Theater in Esslingen (eine Stadt nicht weit weg von  Wendlingen, nahe bei Stuttgart) und reichte meine Kündigung ein. Dabei hatte ich mir einst geschworen, niemals in den Westen zu ziehen. Doch ich mußte für 2 Kinder sorgen und entschied schmerzlich anders. Der Betriebsrat wollte mich sprechen und von mir persönlich erfahren, daß ich aus eigenen Gründen kündige. Jetzt wußte ich, daß der Betriebsrat dieses letzte halbe Jahr beide Hände über mich gebreitet und meine Entlassung nicht zugelassen hatte. Als ich ging, waren von ehemals 1.600 Mitarbeitern noch ganze 82 übrig, nur ein paar Monate später waren es noch 18.

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Die Wendezeit 1989/90

Mittwoch, 20. Januar 2010 15:26

Es war 19989/90, die so genannte „Wende“. Menschen gingen auf die Straßen die Führungsspitze der SED erwies sich in dieser Situation als handlungsunfähig, verbarrikadierte sich mit Personenschutz hinter ihren Schreibstischen, auf den man eine Pistole legte (zumindest in Halle/Saale war das so), bevor sie gänzlich verschschwand.

Ich war zu diesem Zeitpunkt das dritte Jahr in der SED-Stadtleitung als politische Mitarbeiterin tätig, war zuständig für den Stadtbezirk Halle-Süd. Ich besuchte ein letztes Mal die aufgebrachten und ratlosen Arbeiter und Angestellten in den Betrieben – und wurde von ihnen nicht ausgepfiffen oder beschimpft, sondern mit Beifall verabschiedet. Niemand vom Parteiapparat außer mir wagte sich sonst noch in dieser Zeit in die Öffentlichkeit.

Auf einmal tauchten in der Bezirks-und Stadtleitung Halle junge, gänzlich unbekannte Genossen auf. Einer davon, Roland Claus, stellte sich als neuer 1. Sekretär der Bezirksleitung Halle vor. So quasi einfach eingesetzt. Von wem? Er war bis dahin hauptamtlich im Zentralrat der FDJ und hatte sich wohl auf diesen Tag vorbereitet. Seine Reden waren so fern jeglicher Realität… aber voller Überzeugung „Ich sage jetzt, wo es langgeht“.

Als die Massen auf den Straßen an den Montagen zunahm, sah man auch Roland Claus dort. Er schaute schweigend zu, wenn sich ein paar mutige Genossen an den offenen Diskussionen beteiligten, ans Rednerpult gingen und von den Massen beschimpft und beleidigt wurden. Ein Roland Claus gab sich nicht zu erkennen. Er entwickelte vermutlich ein Gefühl für die Massen.

Ich stellte ihn zur Rede, fragte ihn, warum er nicht für seine Genossen eintritt, da zitierte er mich zu sich, um mir zu drohen. Er wollte mich einschüchtern. Ach ja, das hatten vor ihm schon ganz andere versucht… Schon ein knappes Jahr wurde mein Telefon abgehört, wurde ich auf Schritt und Tritt beobachtet, wer mich besuchte, wen ich traf… Waren es männliche Personen, rief man deren Frauen an… Ich hatte Aussprachen vor dem Sekretariat standgehalten und wich nicht einen Millilmeter von meiner Einstellung und Überzeugung ab. Ich wagte es doch tatsächlich, die politische Arbeit der Stadtleitung, und gar der Bezirksleitung zu kritisieren! Man hatte ein Parteiverfahren vorbereitet, um mich aus dem Parteiapparat und der Partei selbst zu werfen, aber just in diesem Moment las man im ND von Egon Krenz etwas von einer „Wende“, von Veränderungen. Da war man sich unschlüssig, bezüglich meiner Person und wollte abwarten. Dann überschlugen sich die Ereignisse.

Das Bild auf den Straßen wandelte sich: immer mehr wurde es an den Montagen von der rechten Szene bestimmt. Mit Springerstiefeln marschierte man durch Halle – in vorderster Reihe lief doch tatsächlich immernoch Roland Claus mit – auch gekleidet mit Lederjacke und Lederstiefeln – man durfte ja nicht unangenehm auffallen. – Zu dieser Zeit organisierte sich eine separate Demo gegen diese gewaltbereiten Rechten, blieben immer mehr Leute zu Hause, die DAS doch nie beabsichtigt hatten, man wollte doch nur Verbesserungen.

Ich wollte weiter aktiv sein, für den Erhalt der DDR und für Veränderungen. Nur Ratten verlassen das sinkende Schiff.

Einmal wöchentlich fand sich die „Vereinigte Linke“ zusammen.  Ich ging jedesmal hin, beteiligte mich an den Diskussionen. Manchmal entdecke ich nur 2 Reihen vor mit Roland Claus und Petra Sitte schweigsam sitzen. Beide beobachteten nur, wollten gesehen werden, denn schon wurden die ersten Wahlen vorbereitet.

Einmal besuchten ein paar Leute von der MLPD aus den alten Bundesländern die Vereinigte Linke in Halle. Verständnislos über unsere Probleme meldeten sie sich zu Wort: Wir würden die wichtigsten Themen nicht diskutieren. Zum Beispiel vermissen sie, warum wir nicht die Abschaffung des Geldes fordern. Ich erwiderte ihnen: solche Leute hat es schon einmal gegeben, fernab jeglicher Realität, sie gingen als „französiche Utopisten“ in die Geschichte ein und allesamt unter.

Daraufhin meldeten sich nach der Diskussion bei mir 2 junge Leute aus Halle. Sie wären dabei eine neue Partei zu gründen „Die Nelken“ – ob ich da mitmachen würde und sie bräuchten Hilfe, um ein Programm auszuarbeiten. Ich half ihnen beim Programm, hauptsächlich beim witschaftlichen Teil, gab ein paar Tipps, war aber nicht gewillt,  aktiv mitzuarbeiten. Ich wollte mich engagieren, die SED von Grundauf neu und besser zu gestalten.

Also stellte ich mich in meinem Stadtbezirk für meine Partei für die Wahlen 1990 zur Verfügung. Ich erhielt 92 % der Stimmen und jeder wünschte, ich möge mich weiterhin so für andere einsetzen und engagieren. Die Genossen kannten mich ja schon geraume Zeit und vertrauten mir. Ich sollte, wenn möglich, als Abgeordnete der Partei tätig werden.

Bei den Vereinigten Linken riet ich, man solle seine Stimme der nun in PDS umbenannten SED geben, um wenigstens eine Opposition abzusichern und weil es derzeit keine Alternative bei uns gäbe. Ich erwartete, rausgeworfen zu werden, aber nein, mein Beitrag wurde mit Beifall honoriert. Roland Claus und Petra Sitte saßen vor mit, hatten sich umgedreht und mich mit großen Augen angesehen, was ich mir da getrauen würde. Sie selbst schwiegen, wie immer.

Roland Claus lud die Genossen zu einer Versammlung zur Wahlvorbereitung ein – eine Liste der Linken für die Wahlen wurde vorgestellt. Und es sollten Teilnehmer für die Delegiertenkonferenz der PDS gewählt werden. Ein Getreuer von Roland Claus ging durch die Reihen und flüsterte jedem zu „Es darf nicht passieren, daß Roland Claus nicht gewählt wird“. Ja, wo sind wir denn hier? Wo gibt es denn sowas? immernoch dasselbe, wie früher, nichts dazugelernt?

Neben ihm vorn saß Petra Sitte, die bis dahin an der Uni Halle war. Ich kannte sie vom Sehen von den Vereinigten Linken, immer neben Roland Claus, erfuhr aber erst jetzt, wer sie ist.

Die Liste der gewählten Genossen für die bevorstehenden Wahlen 1990 wurde verlesen. Viele Anwesende schauten sich verwirrt an. Wer waren die Personen, die da genannt wurden? Für meinen Stadtbezirk tauchte der Name „Petra Sitte“ auf. Ich meldete mich zu Wort: Ich sei von diesem Stadtbezirk und man hatte mich mit 92 % der Stimmen gewählt. Zwar hieße ich auch Petra, aber eine Petra Sitte sei nie bei unseren Versammlungen gewesen. Es wurde unruhig im Saal immer mehr standen auf und bestätigten, daß auch bei Ihnen andere Genossen gewählt worden waren, als hier verlesen wurden.

Ich widersprach der Grundaussage des Referates, wieder fernab jeglicher Realität, von Roland Claus, daß die DDR-Produktion so stark sei, daß sie vergleichbare Westunternehmen abservieren würde, aus dem Konkurrenzkampf siegreich hervorgehen würden. Ich legte dar, daß die Betriebe der DDR keine Überlebenschance hätten, diese gar nicht bekämen, man würde sie schließen, sie würden nicht gebraucht, man brauche nur Absatzmärkte. Ein letztes Mal legte ich meinen Standpunkt dar, daß ich mich von solchem Geschwafel und den Machenschaften bezüglich der Wahl-Kandidaten distanziere und diese Veranstaltung sowie die Partei überhaupt verließe. Jetzt wurde ich von den Anwesenden gebeten, ich möge bleiben, mich würde man wählen wollen, nicht das Spiel von Roland Claus unterstützen. Trotz großen Beifalls und dieser überwältigenden Unterstützung begriff ich, daß sich nichts ändern würde in dieser Partei. Es waren nur die Gesichter ausgetauscht, kein Gedanke, aus den Fehlern gelernt zu haben. Mir wurde klar, daß man anstelle der Gründung einer neuen Partei die SED nur umbenannte, um die Masse der Mitglieder, die zahllosen Rentner, nicht zu verlieren. In eine neue Partei wären nur Vereinzelte eingetreten.

Gesagt, getan, noch den Applaus in den den Ohren, die Beschwörungen, Genossen wie ich würden gebraucht werden,  verließ ich diese Veranstaltung. Tränennaß lief ich durch die Straßen nach Hause.  Mir war klargeworden, daß ich nicht nur die politische, nein meine Heimat überhaupt verlieren würde, weil es Leute gab, denen es nicht um die Sache ging, sondern nur sich selbst ins Sichere bringen wollten, umgeben mit getreuen Speichelleckern die es überall gibt.

1990 saß ich das erste und letzte Mal für die Partei im Wahllokal. Neben mir saß Peter Sodann, damals Intendant des Neuen Theaters, im Wahllokal. Jeden Wähler, der an ihm vorbeikam bat er: „Wählen sie die richtige Partei!“ – welche die richtige sei, sagte er nicht.Das Ergebnis am Ende war niederschmetternd: CDU. Eine Frau, die bei der Auszählung zuschaute, sagte: klar, ich habe auch die CDU gewählt – Bayern ist das reichste Bundesland, dort ist das meiste Geld, durch die CDU wird es uns besser gehen. Diese Frau war wenigstens ehrlich. Sonst hat ja niemand die CDU gewählt.

Die Wahlen entschieden gegen den Fortbestand der DDR – Roland Claus und Petra Sitte wurden Abgeordnete. – Wer unterstützte diese Machenschaften? Welche Kraft arbeitete da im Hintergund und zog die Fäden?

Besagter Roland Claus entschuldigte sich im Bundestag bei Bush, weil ein Genosse seiner Partei ein Plakat „Kein Krieg“ hochgehalten hatte.

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