Gedanken zum Dresdner Erfolg

Ich hatte einen Klassenlehrer, Herr Amme, der nicht nur geliebt, weil streng, war, der definierte uns mal den Begriff „Glück“ und meinte, glücklich ist ein Mensch erst, wenn es die gesellschaftlichen Prozesse erlauben. Solange es Leid und Unglück auf der Welt gibt, könne man nicht glücklich sein. Später, wir hatten 1977 ein Klassentreffen, fragte mich Wilfried, ein ehemaliger Mitschüler: „Petra, bist Du glücklich?“ Ich sagte spontan „Ja!“, hatte vor einem Jahr einem Sohn das Leben geschenkt, stand mit beiden Beinen im Berufsleben, hatte damals eine glückliche Ehe, und lachte. Er fragte nach: „Auch nach Ammes Definition?“.Das Unglück, die Kriege, das Leid, alles war damals so weit weg. Es war schlimm, ja, ich war ja auch damals politisch aktiv, aber es berührte mein Leben nicht unmittelbar – oder fehlte mir ganz einfach die politische Reife? Seit es die DDR nicht mehr gibt, denke ich immer wieder an diese Frage meines Mitschülers und begreife, was unser Lehrer damals meinte. Wir haben, trotz aller Probleme und Widersprüche, in der DDR ein sorgloses Leben führen können, ohne Existenzängste, ohne unmittelbare Bedrohung, anerkannt am Arbeitsplatz, Solidarverhalten der Menschen, uneigennützige gegenseitige Hilfe, Nachbarn, mit denen man sprach… Heute sind Krieg, Elend, Haß, Mißgunst, Egoismus so nahe gerückt und allgegenwärtig, daß sich die Definition „Glück“ meines Lehrers bewahrheitet. Es ist alles so nahe gerückt, daß ich befürchte, auch wir werden einen Krieg erleben müssen. Davor habe ich manchmal ganz unmittelbar Angst.

Dresden hat mir zweierlei vor Augen geführt: Bürgerbewegungen können Zeichen setzen:

  1. Bürgeraktivitäten wie diese in Dresden sind durchführbar, solange sie nicht die Grundlagen dieses Staates infrage stellen.
  2. Eine vereinte Linke kann einen groß geplanten Naziaufmarsch verhindern, kann die Polizei abhalten, gewaltsam vorzugehen.
  3. Eine vereinte Linke ist durchaus in der Lage Zeichen zu setzen.

ABER machen wir uns nichts vor:

  • Es gibt in Deutschland keine vereinte Linke! Es gibt immer mehr linke Gruppierungen, die das Trennende von anderen Linken hervorheben, anstatt das Verbindende, das Gemeinsame zu sehen. Einzelne Aktivitäten lassen sich gemeinsam vorbereiten und durchführen, danach geht man wieder getrennte Wege.
  • Es trafen in Dresden, in nur einer Stadt, linke Kräfte aus ganz Deustchland zusammen. Jede Gruppe für sich genommen, in der Gesamtheit Deutschland betrachtet, ist dennoch eine verschwindend kleine Minderheit.
  • Kaum eine links orientierte Partei / Gruppe verfügt über ein Programm mit ganz realistischen und notwendigen Tageszielen. Vielmehr geht es um theoretische Diskussionen; jeder erfindet für sich den Sozialismus bzw. eine bessere Gesllschaftsordnung neu und will sich von den anderen abheben, ja distanzieren.
  • Zu viele sich links nennende Parteien / Organisationen erkennen das Grundgesetz als Basis ihres Handelns an, glauben daran, in einem „Sozialstaat“ zu leben und wollen ihn nur erträglicher gestalten. Sie verstehen dabei nicht, daß dieser Staat objektiven Gesetzen folgen muß, die soziale Verbesserungen nicht zulassen, sondern das Gegenteil diktieren.
  • Diejenigen linken Kräfte, die das erkannt und sich auf ihre Fahnen geschrieben haben, sind zu wenige, als daß sie für das Finanz- und Wirtschaftkapital eine Gefahr darstellen könnten. – Wäre es anders, würden sie verboten und verfolgt.
  • Man kann dieses menschenverachtende System nicht über Reformen überwinden. Man kann derzeit keinen Staat aus dem Weltgefüge reißen, um den Sozialismus aufzubauen – zu groß ist die internationale Kraft der Gegenwehr, es käme unweigerlich zum Krieg. Wir werden gegenwärtig Zeugen davon, wie in Bolivien der gesellschaftliche Fortschritt mit allen Mitteln verhindert wird.
  • Ein gesellschaftlicher Umsturz in Deutschland steht lange nicht auf der Tagesordnung, dazu sind die linken Kräfte zu gespalten, dazu geht es zu vielen Menschen noch zu gut, als daß sie sich wachrütteln ließen.

Datum: Donnerstag, 18. Februar 2010 12:29
Themengebiet: Allgemein Trackback: Trackback-URL
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